Donnerstag, 22. November 2007

Im Nachhinein

England raus. Grund zur Freude? Im Nachhinein eher nicht.

Weil England einfach dazugehört? Das tun sie nicht, zumindest nicht mehr in dieser Form. Und irgendwie ist es ganz wohltuend, dass die Briten jetzt endlich kapieren müssen, dass ihre Nationalelf längst nicht mehr zur Weltspitze gehört.

Nein, richtig freuen kann ich mich nicht, weil statt ihrer die Russen sich qualifizierten. Sicher, sportlich ist das nicht unverdient. Politisch aber ist es eine Katastrophe, dass diese "lupenreine Demokratie" sich propagandistisch in Europas Mitte proflieren darf. Wer die Nachrichten aus Russland der letzten Monate verfolgt hat, dem wird zwangsläufig schlecht. Erpressung mit Energie, Verfolgung von Oppositionellen und Journalisten, nationalistische Verklärung der Vergangenheit in den neuen Schulbüchern, Zerstörung eines Naturschutzgebiets für die olympischen Winterspiele in Sotschi, stalinistische Ikonenverehrung für Putin in gesteuerten Jugendorganisationen, Entwicklung neuer Superbomben, (angebliche) Vergiftung von sportlichen Kontrahenten wie Tommy Haas vor dem Davis Cup Halbfinale, die Bildung von mafiösen Strukturen von korrupten Politikern und Wirtschaftsbossen, wachsender Rassismus in der Gesellschaft wie beim Verkaufsverbot für Ausländer auf russischen Märkten, Rekrutenfolterexzesse in der Armee und schließlich der brutale Krieg in Tschetschenien.

Wie bitte soll man sich da für den Erfolg einer russischen Nationalelf freuen können? Ich kann es nicht. Und genau deshalb tut es mir leid um England. Wenigstens ein bisschen.
piesty - 22. Nov, 17:26

Über diese Jugendorganisation war ein schöner Artikel vor einiger Zeit in der NEON. Das ist wirklich erschreckend, wie die Kinder und Jugendlichen dort auf die "richtigen" Ansichten getrimmt werden.

Und dein Beitrag trifft eines auf den Punkt: Staaten bzw. Nationen, die sportliche Höchstleistungen erbringen, müssen einem politisch nicht immer unbedingt genehm sein. Zu denken wäre in diesem Fall z.B. auch an China - auch wenn die bei einer Fußballeuropameisterschaft ohnehin nichts zu suchen haben. ;)

Löwenherz - 22. Nov, 19:21

Klar ist es immer die Frage, inwiefern Sport und Politik zusammengehören. Ich bezweifle, dass sie eins sind. Aber man kann sie eben auch nicht trennen. Siehe Olympiavergabe nach Sotschi. Auf Befehl des lupenreinen Demokraten zahlte Gazprom Abermillionen in die Bewerbung. Oder im Kampf gegen Doping. Wie schwer kann es sein, wenigstens europaweit vergleichbare Anti-Doping-Gesetze zu entwickeln.

Ich kann es einfach nicht gutheißen, wenn Olympia an autoritäre Staaten geht, die Menschenrechte mit Füßen treten und damit das olympische Ideal verraten. Und genauso wenig kann ich es ertragen, wenn diese Staaten sportlich erfolgreich sind, da die Sieger damit letztlich das Unrechtssystem nolens volens außenpolitisch stützen.
concierge (Gast) - 23. Nov, 22:56

Du hast zwar Recht, aber...

...es ist doch wünschenswert, wen die Erfolge einer russischen Fussball-Auswahl von der aktuellen russischen Staatsphilosophie getrennt werden. Denn mit der Argumentation hat Russland bei Olympischen Spielen gleichfalls nichts zu suchen.

Ein Wort noch zu England: Werden sie wirklich vermisst, die Darren Bents, die Joleon Lescotts und Scott Carsons? Mal ganz abgesehen von der Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit spielt England einen so unansehnlichen Fussball, und das schon seit einer ganzen Weile, dass ich nicht ganz traurig bin über ihr Ausscheiden.

Löwenherz - 24. Nov, 09:30

Ach Ole.

Sportlich find ich doch auch, dass es die Engländer wirklich nicht verdient haben. Aber es ist schade für das Turnier, dass das wichtigste Fußballland (Fans, Vereine, Millionen) der Erde nicht vertreten ist.

Und ich finde eben nicht, dass man die Erfolge der russischen Elf von der "Staatsphilosophie" trennen kann. Was glaubst du denn, mit welchen Millionen sich der russische Verband Guus Hiddink leisten konnte? Oder warum ein anderer russicher Milliardär dem besten Spieler der Israelis einen Luxuswagen versprochen hat. Staatliche Steuerung? Einmischung in den Sport?
concierge (Gast) - 24. Nov, 18:03

Mit welchen Millionen? Mit privaten Geldern und nicht mit staatlichen.
Ich würde schon trennen zwischen staatlichem Einfluss (wie bei Sotchi - so was geht natürlich gar nicht) und dem Verhalten der Oligarchen. Was dabei legal ist und was nicht, steht natürlich auf einem anderen Blatt.

Aber ich habe in dieser Hinsicht nicht so hohe moralische Ansprüche. Wenn Geldwäsche nicht konsequent bekämpft wird, scheint die Verwendung illegal erworbenen Geldes offensichtlich nicht verwerflich zu sein. Insofern finde ich mich einfach damit ab, dass Gelder dann weiter zweckentfremdet werden. Das ist im übrigen kein rein russisches Phänomen.
Löwenherz - 24. Nov, 18:27

Was glaubst du denn, wie diese russischen Oligarchen zu Geld gekommen sind? Kann man da wirklich noch privat und staatlich als Begriffe trennen? Weißt du nicht, dass Putin regelmäßig "seine" Oligarchen beauftragt, "nicht-staatliche" Projekte zu fördern.

Du hast schon recht, wenn du sagst, dass das kein rein russisches Problem ist. Aber kein Land in Europa praktiziert das so öffentlich staatlich wie dort ganz im Osten.
concierge (Gast) - 24. Nov, 19:48

In Serbien wurden gerade alle staatlichen Unternehmen unter den Regierungsparteien aufgeteilt. :D

Mir ist das schon bewusst, dass Putin die Oligarchen an die kurze Leine nimmt. Aber Kritikverzicht und Sozialprogramme sind ja keine staatlichen Aufträge zur "Förderung" des Sportes. In der russischen Liga wird ja auch nicht mehr so viel verschoben wie früher. Da kämpfen die Oligarchenteams (mit diversen Mitteln) um die Meisterschaft, aber ohne, dass der Staat da eingreift.

Will sagen: In Russland wird trotz der hiesigen Berichterstattung über russisches Regierungstreiben einiges nicht vom Staat kontrolliert. Das betrifft vor allem die Oligarchen. Daran hat Putin (mit wenigen Ausnahmen) nichts ändern können, er hat sie lediglich ruhig gestellt und an einigen Exempeln deutlich gemacht, wie es aussehen könnte, wenn man sich nicht anpasst. Darüber hinaus aber haben die Damen und Herren freies Spiel. Wer da also wen mit welchen Mitteln zu bestechen versucht, ist ganz allein Wahl der Oligarchen.

So, genug der Rede jetzt! :)
Löwenherz - 25. Nov, 10:06

Einigen wir uns einfach darauf, dass die Politik sich nicht ungefragt in den Sport einmischen sollte.

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