176 - einhundertsechsundziebzig - Tage ist es nun her, dass ich vollgepackt wie ein Flüchtling hier in Utrecht angekommen bin. Aus Sommer ist Winter geworden und zwischendurch wurde es sogar mal richtig kalt.
Utrecht im Januar - "Blick auf den Domturm" (Schatten hat nichts- ich wiederhole NICHTS - zu tun mit diesem hier)
Am Freitag nun geht es wieder zurück! Seit der letzten Klausur am Mittwoch bin ich praktisch täglich am Abschiednehmen. Abschied von den gewonnen Freunden und Bekannten, von den Mitbewohnern, der Universität, unserer schicken Küchencouch, meinem Holländerfiets, von meinem Zimmer mit Aussicht und schließlich von den Niederlanden.
Mich konnten Filme wie Saw oder The Cube nie schocken. Warum? Ich glaube, weil sie einfach zu wenig der eigenen Fantasie überlassen. Weil sie manchmal so Klischee sind, dass man sie einfach nicht ernst nehmen kann.
Wie man Bösartigkeit, Horror und Brutalität richtig darstellt, zeigt jetzt das Finale der ersten Staffel von "Terminator - The Sarah Connor Chronicles". Indem man darauf verzichtet, das "Unabbildbare" abzubilden, indem man die Folgen der Gewalt, nicht aber sie selbst zeigt. Und indem man das ganze stilistisch entfremdet - zum Beispiel die Szene mit einer absurden oder unpassenden Musik unterlegt, die den Zuschauer aus seiner Emotionalität herausrüttelt und ihn zwingt, das ganze intellektuell zu verarbeiten.
Ausschnitt: TTSCC 1x9
Abgeschaut haben sich das die Amerikaner vielleicht auch von Dokumentarfilm-Pionieren wie Alain Resnais, der - die Theorien des Brecht'schen Theaters folgend - dem Holocaust in "Nuit et brouillard" ein schreckliches Denkmal setzte. Intelligente Zeugenschaft durch Verfremdung hieß damals das Zauberwort. Und es wirkt bis heute fort.
Noch am Sonntag habe ich auf Teilen der spiegeldünn zugefrorenen Stadsingel (der Stadtkanal, der die Altstadt umgibt) verrückte Utrechter Schlittschuh laufen sehen. Richtig Winter war in den Niederlanden - sogar mit durchgängig Tagestemperaturen unter 0 Grad. Millionen Herzen schlugen höher. Ist es endlich wieder soweit? 12 Jahre seit der letzten Elfstedentocht - eine semiprofessionelle Tour-de-Eis über Kanäle, Grachten und Seen Westfrieslands mit jahrhunderalter Tradition - sah es sehr vielversprersprechend aus für eine neue Auflage.
Doch als ich Montag morgen die Nase aus dem Fenster hielt, und mir ein frischer milder Frühlingswind entgegenblies, war der Winter hier in den Niederlanden schon wieder vorbei und wich dem typisch ewig langen Holland-Frühling. Und den machen bekanntlich saftige Wiesen und Tulpenfelder aus und keine zugefrorene Kanäle. Schade eigentlich. So ein Jahrzehntereignis hätte ich sehr gerne hier erlebt!
Dienstagnacht noch habe ich mit dem Channelshifter ausgiebigst über Rechtsradikalismus in Deutschland Ost und West und die Rolle der Medien seit 1990 diskutiert. Spreeblick scheint "mitgelauscht " zu haben und hat das nochmal für uns wunderbar zusammengefasst:
Es ist eine Frechheit, dass man dieses Problem bisher auf die dunkelsten Ecken Nordsachsens und die Westküste Rügens reduziert hat. Denn es ist kein Ostproblem und war auch noch nie eines. Es ist und war ein gesamtdeutsches Problem. Von den 200 Abgeordneten, die Rechtsextreme zu unserer aller Schande in deutschen Parlamenten stellen, sitzen drei viertel in Ex-Wessiland. Die Kader, die in Ostdeutschland unbehelligt ihre Kameradschaften aufbauen durften, kamen aus dem Westen, allen voran Michael Kühnen. Der Rechtsextremismus im Westen mag strukturell verschieden sein, weniger gefährlich ist er nicht.
Frédéric Valin für Spreeblick 18.12.2008
Danke für die Worte und danke fürs Draufaufmerksammachen!
Am Dienstag - 9.12.2008 - war es endlich so weit. Mein erstes Champions League Match: PSV Eindhoven vs. FC Liverpool. Eingesetzt wurde ich jetzt nicht, aber auf der Bank - also Sitz - hat es auch viel Spaß gemacht. Das ging los mit den massig Engländern in der Innenstadt mit ihrem wahrhaft einzigartigen Akzent, das ging weiter mit dem Marsch aufs Stadion mit 33000 anderen. Das ist die Atmosphäre in dem schicken Stadion, lichtgeflutet.
Und natürlich dann das Spiel selbst. Auch wenn beide Mannschaften schwer ersatzgeschwächt antraten. Spieler wie Keane, Babel, Mascherano, Carragher, Cavalieri, Culina, Mendez und Arbeloa sorgen für ein gepflegtes Spiel mit vier Toren, dass in live natürlich noch ganz anders wirkt als auf der Mattscheibe.
Höhepunkt war aber defintiv der Schluss des Spiels, als mehrere zehntausend zufriedene (vom Spiel und vom Bier) Engländer gemeinsam ihre Hymne anstimmten. Gänsehautstimmung.
30.12.2006 in Erfurt. Die "Neue Bandliga" stellt regelmäßig Aufsteiger der Musikszene vor. Diesmal sind es ein paar Jungs aus Dresden. Spielen experimentelle Musik. Eine Mischung aus Synthie-Pop, Postrock und Indietronic. Und reißt mich gleich nach dem ersten Song mit: "Crystal Lake".
28.11.2008 in Amsterdam. Fast zwei Jahre später. Aus den hoffnungsvollen Newcomern von damals sind national unglaublich erfolgreiche Musiker geworden, die mit "Allein, allein" seit einem Monat die deutschen Singlecharts anführen!
Gestern Abend konnte ich mich im Paradiso/Amsterdam selbst überzeugen. Die Jungs sind erwachsen geworden. Und ihre Livperformance - zusammen haben sie mit Bodi Bill am Ende eine großartigen Remix von "Allein, Allein" improvisiert - ist noch besser jetzt. Nie hätte ich geglaubt, was für eine Kraft und Energie das neue doch eher symphonisch/orchestrale Album "Colour of snow" entwickeln kann. Am meisten überrascht hat mich in dieser Hinsicht "Tourist", ein eher ruhig-melancholische Song auf der neuen Platte. Jedes Mal beim Einsetzen des Refrains "I just try all the time..." fühlte es sich an, als könnte die rauchgetränkte Luft im Saal jeden Augenblick implodieren. Und ich mit ihr...
Im Gespräch schien der Leadsänger von PK18, Felix Räuber, jedoch nicht allzu glücklich mit dem Amsterdamer Publikum zu sein, die sich erst gegen Ende bei "Dreamdancer" so richtig vom Hocker reißen ließen. Andererseits: Es war erst ihr zweites Konzert in den Niederlanden. Und ich traue ihnen definitiv Erfolge auch international zu. So wie in Dänemark zum Beispiel. Da hat Nephew "Allein, Alene" geremixt und ist längst in die Top10 der dänischen Charts eingestiegen.
Das kann was werden. Aber so oder so: Das war keineswegs mein letzer Besuch am ewig eisig weißen Polarkreis Nummer 18!