Mittwoch, 2. April 2008

Scheiß Bigotterie

EDIT (04.04.08): Jetzt wird eine richtig dicke Geschichte draus. Hier bei Spiegel Online, da in der Netzzeitung. Wer genug von dieser Sensationsgeiferei hat, der kann in meiner Heimatzeitung eine Sicht der Dinge vor Ort lesen. Bemerkenswert dabei die Aussage von Generalintendant Peter Taeger:

"Die Dinge, die hier passieren, bewegen sich im Rahmen dessen, was an Fremdenfeindlichkeit da ist, das ist nicht ostspezifisch. Damit muss man sich auseinandersetzen. Nächstenliebe braucht Klarheit, mit der ein Zeichen gegen Rechts gesetzt werden soll."

In diesem Sinne kann ich nur hoffen, dass diesmal anders als in Mügeln mehr rauskommt als schnelle Schlagzeilen des Entsetzens. Wie wärs mal mit einer ordentlichen Diskussion über die Ursachen der Geschehnisse? Wie wäre es, einmal Schlüsse daraus zu ziehen und dem Problem zu begegnen?

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Heute wars mal wieder so weit. Markus Decker beschrieb in der Frankfurter Rundschau in seinem Beitrag "Mama, was ist ein Nigger?" die Erlebnisse einer rheinländischen Pfarrersfamilie in Thüringen (Hier eine etwas längere Online Version). Wie sie wegen eines besseren Jobs umgezogen sind, wie sie sich im beschaulichen Rudolstadt ein Haus gebaut haben. Und wie sie dann von der Bevölkerung - die Frau des Pfarrers ist Halb-Inderin - schikaniert und letztlich vertrieben wurden. Um es kurz zu machen: ich glaube jedes Wort dieser Menschen. Ich habe Mitleid und ich schäme mich dafür, dass dies in meiner Heimat passierte. Ich kann ihnen nur alles Gute wünschen für ihre Zukunft und den Neubeginn.

Was mich aber schrecklich aufregt ist dieser Beitrag vom Herrn Decker. In jeder Zeile kann man herauslesen, dass der Autor wahrscheinlich nicht ein einziges Mal in Rudolstadt gewesen ist bzw. vielleicht noch nicht mal jenseits der ehemaligen Grenze. Der im ruhigen Büro in Frankfurt eine schöne Skandalgeschichte textet, ohne die Hintergründe zu kennen.

Wenn er sich darum bemüht hätte, vielleicht für eine so brisante Geschichte sich vor Ort mal umzuschauen, anstatt nur die üblichen Verdächtigen (eine Oberkirchenrätin aus Eisenach, 90 km entfernt von Rudolstadt; einen Bundespolitiker aus Berlin, 290 km entfernt) kurz anzurufen, dann hätte die Geschichte vielleicht ein bisschen anders ausgesehen. Vielleicht wären da auch solche Sätze dabei gewesen wie:

"Rudolstadt, ein historischen Kleinod, in der auch Persönlichkeiten wie Fallada, Fichte, Fröbel und Schiller wirkten..."

"Rudolstadt, eine multikulturelle Bastion, in der jedes Jahr im Juli das weitbekannte internationale Tanz-und-Folk-Festival mit hunderten Künstlern aus aller Welt stattfindet.

Aber auch Sätze wie die hier:

"Rudolstadt, eine Kleinstadt südlich von Jena, die seit der Wende ein Fünftel ihrer Einwohnerschaft verloren hat..."

"Rudolstadt, deren Einwohner schon seit Jahren mit einer Arbeitslosenquote um die 15-20 Prozent zu kämpfen haben..."

"Rudolstadt, dessen Kampf gegen die wirtschaftlichen Widrigkeiten man besonders an dem erschreckenden Leerstand der Geschäfte in der Innenstadt erkennen kann."

Wer weiß. Hätte der Herr Decker davon eine Ahnung gehabt, würde ihm vielleicht eine Erklärung dafür einfallen , dass im Osten "eine unterschwellige Feindlichkeit gegenüber Fremden, Unheimlichem und Anderem" zu spüren ist. Dann würde er vielleicht an den Worten des Pfarrers zweifeln, dass das mit dem "fremdenfeindlichen Erbe der DDR" zu tun hat. Dann würde er sich auch nicht darüber wundern, dass der Bürgermeister Rudolstadts keine Ausländerfeindlichkeit erkennen kann. Dann würden vielleicht Wörter fallen wie diese:

"Abgezogene Elite", "Arbeitslosigkeit", "persönliche Enttäuschung", "Frustration im eigenen Haus", "Verarmung", "Verlust eines bürgerlichen Bewusstseins", "Angst vor der Zukunft", "geschürter Hass auf alles Fremde" und "Schutz vor dem Wenigen, was man noch hat".

Versteht mich nicht falsch. Das macht den Fakt der Fremdenfeindlichkeit kein Stück besser. Aber es bietet wenigstens einen Erklärungsansatz. Und verharrt nicht so im sensationslüsternen Staunen und Schauderns, wie es im bigotten Beitrag von Herrn Decker der Fall ist. Denn letztlich sind es auch nur 10 % Arbeitslosigkeit mehr, die westdeutsche Gemeinden vom Fremdenhass trennen.
Michael (Gast) - 5. Apr, 14:04

ch weiß nicht, Georg. Ich finde deinen alternativen "Erklärungsansatz" jetzt auch nicht wirklich befriedigend. Natürlich hätte die FR mal vor Ort recherchieren sollen, klar. Aber kommt man dem Phänomen "Fremdenhass" damit besser auf die Spur?

Ich finde, es wäre mal Zeit für eine nüchterne Bestandsaufnahme.
Denn erstens: Gibt es einen "höheren" Anteil an Fremdenfeindlichkeit in der ehemaligen DDR? Falls ja: Wie ist er qualifizierbar? (Sicher nicht an einem solchen Einzelfall). Über die Statistik? Angeblich ist die Anzahl an fremdenfeindlichen Straftaten in Rudolstadt ja gar nicht soviel höher.
Und drittens: Falls es tatsächlich mehr Fremdenfeindlichkeit gibt, wo liegen die Ursachen?

Ich glaube nicht, dass man es auf die einfache Formel "Mehr Arbeitslosigkeit => Mehr Frust --> Mehr Fremdenhass" zurückführen kann. Denn hohe Arbeitslosenquoten gibt es ja nicht nur in der ehemaligen DDR. Welche Faktoren spielen also eine Rolle?

Löwenherz - 5. Apr, 14:13

Ich hab auch nie behauptet, dass es Fremdenhass nur in den neuen Bundesländern gibt. Du hast mir da auch schon ein paar Geschichten aus dem Saarland erzählt. Überall, wo Frust ist, sucht man nach Schuldigen. Am besten etwas, was anders ist, was man nicht versteht, wovor man vielleicht auch Angst hat. Stichwort: Xenophobie.

In Notsituationen suchen die Menschen die Gemeinschaft zu stärken. Und das geht am besten, indem man fremde Minderheiten ausschliesst. Das ist auch das Prinzip totalitärer Staaten.

Wirtschaftliche Notsituation -> Arbeitslosigkeit -> Armut -> Sozialneid -> Hass -> Extremismus

Wenn dazu bestimmte Faktoren kommen wie das Fehlen von sozialer Kontrolle (beispielsweise durch Verlust der Elite und zerstörten Vereinsleben), klappts sogar noch besser. Vielleicht ist das der einzige Unterschied zwischen wirtschaftlich schwachen Osten und wirtschaftlich schwachen Westen.
Michael (Gast) - 5. Apr, 14:30

Ja, aus dem Saarland fallen mir da diverse Geschichten ein. Bei den Fahrten zur Schule wurde ein Junge genau so "Nigger" geschimpft, wie das auch bei der Familie in Rudolstadt passiert sein soll - dabei war sein Hautton nur minimal dunkler als der aller anderen Kinder, seine Eltern hatten auch keinen "Migrationshintergrund". Nur wäre daraus keine Geschichte geworden, die Deutschlandweit ihre Wellen schlägt.

Aber die Frage ist doch nicht, ob es Fremdenhass "nur" in den neuen Bundesländern gibt - sondern, ob es dort mehr gibt als anderswo. Natürlich mag die von dir aufgezeigte Formel dabei eine Rolle spielen, aber ich finde immer noch, es ist nicht ganz so leicht.

So denke ich schon, dass es einen Unterschied in der Deutsch-Deutschen-Geschichte gibt, was die Auseinandersetzung mit Ausländern zu tun hat. Das fängt schon damit an, dass ein (damals BRD)-Deutscher dank zahlreicher Gastarbeiter sicher mehr "erkennbare" Ausländer zu Gesicht bekam als jemand, der zu DDR-Zeiten in Rudolstadt aufgewachsen ist. Außerdem hat die 68er-Generation die Vergangenheit der eigenen Eltern hier ganz anderes umgegraben, als das in der ehemaligen DDR der Fall gewesen sein dürfte. Ich weiß nicht, ob man deshalb von einem "Fremdenfeindlichen Erbe" sprechen kann - aber ich kann mir durchaus vorstellen, dass ein Leben unter dem SED-Regime in dieser Richtung gewisse Spuren hinterlassen hat. Den Beweis muss ich an dieser Stelle natürlich schuldig bleiben - aber ich sags nochmal: Dass Strukturschwäche und Zukunftsangst die einzige Ursache sein sollen, glaube ich nicht.

Löwenherz - 5. Apr, 14:51

Das mit dem Gastarbeitern stimmt schon. Davon gab es laut Wikipedia in der DDR 1989 nur 94000 - zumeist Vietnamesen. Dazu kamen zwar noch einige Millionen Russen, aber die durften ja auch nicht aus ihren Kasernen raus.

Was die Aufarbeitung mit dem Faschismus betrifft, muss ich dir aber zumindest teilweise widersprechen. Anders als in der BRD, wo zahlreiche Offiziere und Beamte im Dienst blieben und NSDAP-Mitglied Kiesinger Bundeskanzler werden konnte, gab es in der DDR eine radikale Entnazifizierung. Zudem kann ich auch nicht nachvollziehen, warum die DDR-Diktatur was Fremdenfeindlichkeit betrifft "gewisse Spuren hinterlassen hat". Von der Ideologie her war die DDR ein Staat, der keinen Unterschied zwischen den Rassen machte, der die Internationale förderte und den Austausch mit fremden Völkern. Kennst du die DSF? Eine Organisation, die in allen Bevölkerungsschichten die deutsch-sowjetische Freundschaft fördern sollte. Gab es eine Deutsch-Türkische-Freundschaft in der BRD? Sozialneid in der DDR war außerdem kaum vorhanden, da alle ja irgendwie das gleiche bekamen und sich viel solidarischer unterstützen, als es heute der Fall ist.

Dass es trotzdem Rechtsradikalismus - wahrscheinlich im gleichen Maße wie in der BRD - gab, ist wahrscheinlich mit einer gewissen "Anti"-Reaktion der Jugend und der Prägung der Alten aus Nazizeit zu erklären. Mit einem "Fremdenfeindlichen Erbe" der DDR hingegen kaum.

Nein, ich bleibe dabei. Die Gründe für den (wahrscheinlich) größeren Fremdenhass in den neuen Bundesländern ist EHER in der jüngeren Vergangenheit zu suchen. Und zu Strukturschwäche, Zukunftsangst kommt - ich kann es nicht oft genug wiederholen - die fehlende SOZIALE KONTROLLE!!!! Wie sehe es denn in Trier aus (Vorsicht: Dramatisierung!), wenn die Uni geschlossen würde und alle mit einem IQ jenseits von 110 die Stadt verlassen würden?

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